Fluchtversuche

Leider kommt es immer wieder vor, dass das Krankenhauspersonal gezwungen ist, Patienten gegen ihren Willen im Krankenhaus festzuhalten. In Allgemein-Krankenhäusern geschieht dies zum größten Teil zum Schutz vor sich selbst. Die Ursachen sind meistens in ihren Krankheitsbildern, wie Schädel-Hirnverletzungen oder Demenz zu suchen. Trotz elektronischer und mechanischer Hilfsmittel gelingt es immer wieder einigen Patienten, sich von entsprechenden Sicherungsmaßnahmen zu befreien und ihr Heil in der Flucht zu suchen.

Über das Gerüst

Ein älterer Patient versuchte des Öfteren, sich heimlich still und leise von unserer Station zu schleichen. Als dann durch Umbaumaßnahmen bedingt, ein Gerüst vor den Fenstern der Station angebracht war, nutzte er die Gunst der Stunde, packte seine Reisetasche und kletterte durch ein Seitenfenster, das größere ist wegen des Betriebes der Klimaanlage ständig verschlossen, auf das Gerüst und dann hinab in die Freiheit. Es gelang ihm tatsächlich nach Hause zu kommen, wurde dann aber auf Betreiben seiner Lebensgefährtin mit der Polizei wieder ins Krankenhaus gebracht. Auf Befragen, was er denn zu Hause wollte, gab er zur Antwort, dass er mit seinen Kegelbrüdern Geburtstag feiern wollte.

Durch das Fenster

An diesen Patienten erinnere ich mich immer wieder gern. Er war durch einen Verkehrsunfall am Kopf schwer verletzt worden und hatte auch eine Kieferfraktur, die durch eine Verdrahtung des Ober- und Unterkiefers geschient wurde. Dadurch war es ihm unmöglich feste Nahrung zu sich zu nehmen. Da er ständig versuchte aufzustehen, war er zumeist am Bett gesichert. Er versuchte uns nun durch die Macht des Wortes umzustimmen, um ihn loszumachen. Zum Beispiel behauptete er, dass er einen wichtigen Termin mit einem Geschäftspartner in einer Pizzeria im Nachbarort habe. Auf den Hinweis er könne doch nichts essen, nuschelte er lapidar: “Doch, Pizza passiert“.

Diesem Patienten gelang es nun an einem Morgen, es war kurz vor dem Wechsel des Nachtdienstes zum Frühdienst, sich von seinen hinderlichen Sicherungsmaßnahmen zu befreien. Der Monitor gab Alarm und wir sahen nur noch einen Schatten über den Flur unserer Station huschen. Der Patient stürmte dann in ein Patientenzimmer, öffnete ebenfalls das Seitenfenster, wobei diverse Utensilien, vorwiegend Kleinteile, die in offenen Behältnissen auf der Fensterbank standen, durch das Öffnen auf den Boden geschleudert wurden. Zu erwähnen ist außerdem, dass in diesem Zimmer zwei ältere Patientinnen lagen, die sich sehr erschreckten. Sie lagen mit der Bettdecke bis zur Nasenspitze zugedeckt in ihren Betten und schauten ängstlich dem Geschehen zu. Der Patient wollte über einen ca. 1 m breiten Lichtschacht springen, um dann auf einen Dachgarten zu kommen. Einer Kollegin gelang es ihn am Schlafanzugshosenbund zu fassen und mir ihn am Handgelenk zu packen. Es wäre trotzdem vergebliche Liebesmüh gewesen, wenn er tatsächlich gesprungen wäre, da er groß und kräftig war. Ein glücklicher Umstand kam uns in Form eines weiteren Kollegen zu Hilfe, der geistesgegenwärtig die Situation erkannte und in einem Nebenzimmer durch ein anderes Fenster auf die Dach-Terrasse sprang und unserem Patienten auf dieser entgegenkam. Als unser Patient dies erkannte, gab er sein Vorhaben auf und ließ sich frustriert wieder in sein Bett bringen.